In diesem Beitrag hatte ich zusammengetragen, welche qualitativen Unterscheidungen zwischen „Züchtern“, „Laien“ und „Vermehrern“ von anderen Züchtern getroffen werden, wobei die individuelle Zusammenstellung der „Messpunkte“ aber zum Teil erheblich differiert.
Ich bin zugegeben erst seit September 2019 als Züchterin aktiv, habe aber bereits festgestellt, dass der überwiegende Teil der Züchter nicht allen „Messpunkten“ entsprechen, was die jeweils anderen Züchter, sofern sie denn selbst diese Punkte erfüllten, zumeist damit begründeten, dass dieser eben ein „Vermehrer“ sei (ihrerseits aber bei anderen Messpunkten abwichen).
Fragte ich hinsichtlich der „Abweichungen“ nach, ergab sich erstaunlicherweise, dass die Züchter immer sehr gute und in meinen Augen auch fundierte Gründe für ihre abweichende Handhabung hatten. (Was nicht automatisch bedeutet, dass ich mich ihrer Einschätzung anschließen würde).
Mein Lieblingsbeispiel dürften die Messpunkte „Klar definiertes Zuchtziel hinsichtlich Rasse und Farbe / Beschränkung auf wenige Farben und Rassen“ sein. Wobei nach meiner Überzeugung zweiteres (Beschränkung auf wenige Farben und Rassen) aus ersterem folgt. Denn um das Erscheinungsbild seiner Tiere dem Ideal hinsichtlich Rassemerkmalen und Farbdetails erfolgreich annähern zu können, braucht man zwingend eine gewisse Mindestgröße der Zuchtgruppe. Andreas Reinert („Meerschweinchen – Hatung, Zucht, Ausstellung“) empfiehlt als Mindestgröße 4-5 Zuchtböcke, 10-15 Zuchtweibchen, 4-6 Jungtiere (die dafür vorgesehen sind, in die Zucht nachzurücken, sofern ihre Entwicklung den Erwartungen entspricht). Hinzu kommen dann aber zwangsläufig auch in steigender Anzahl: Alttiere, die nicht mehr zur Zucht eingesetzt werden können, Jungtiere und erwachsene Tiere, die nicht zur Weiterzucht ausgewählt wurden aber (noch) keine Käufer fanden sowie Kastraten, welche die Zuchtböcke während derer Zuchtpausen begleiten oder auch die Mädelsgruppen. Macht zusammen mittelfristig mindestens 30-40 Tiere.
Nun sind in Deutschland alle Züchter „Hobbyzüchter“, weil keiner von ihnen wirtschaftlichen Gewinn erzielt. Das liegt daran, dass der Preis, den potentielle Käufer zu zahlen bereit sind, sich irgendwo zwischen dem, was Züchter eigentlich nehmen müssten um ihre Kosten zu decken und dem, was die Laien, die Zufallsverpaarungen in hoher Anzahl auf den Markt werfen, verlangen, eingependelt hat.
Daraus widerum folgt, dass die quantitativen Gegebenheiten aller Züchter in Deutschland durch drei Punkte, die teilweise miteinander in Bezug stehen, bestimmt sind: 1) Wieviel Geld steht dem Züchter für die Versorgung und Pflege seiner Tiere zur Verfügung? 2) Wie viel Zeit steht dem Züchter für sein Hobby zur Verfügung? 3) Wie viel Platz steht dem Züchter für die Unterbringung seiner Tiere zur Verfügung?
Nach meiner Beobachtung bewegen sich aufgrund dieser drei Punkte die Tieranzahl in den Zuchten, die ich kenne, zumeist irgendwo zwischen 30 und 60 Tieren. Wenn nun aber pro Rassezuchtziel (in einer konkreten Farbe) gemäß obiger Ausführung mindestens 30-40 Tiere vonnöten sind, kann kaum ein Züchtern ernsthaft mehr als zwei diverse Rassen in jeweils einer Farbe erfolgreich dem Idealtypus annähern. Ausnahme: Manche Farben stehen in Bezug zueinander. Wer cremefarbene Tiere züchten möchte, wird immer auch buffarbene und weiße im Bestand haben und wer Ridgeback züchtet, hat sich ein komplexes Arbeitsgebiet gewählt. Das ändert aber nichts daran, dass es trotzdem nur ein Zuchtziel gibt, auch wenn sich daraus diverse Tiere ergeben können.
Schaut man nun aber auf die Züchterseiten, finden sich solche, die angeben, beispielsweise vier verschiedene Rassen in ihren drei Lieblingsfarben züchten oder offenbar drei Rassen in Farbkombinationen, wo immer irgendwo auch die favorisierte Farbe mit dabei ist oder – schaut man in die Stammbäume – an irgendeinem Punkt Tiere miteinander verpaart wurden, die Träger unterschiedlicher Rasse waren, z.B. US-Teddy mit Rex oder CH-Teddy. Dabei entsteht dann allerdings keine „neue Rasse“, sondern nur erhebliches genetisches Durcheinander, das man nie wieder aus seiner Zucht herausbekommt.
Die Folge: Es wird immer wieder in solchen Zuchten vorkommen, dass „überraschend“ dann Tiere fallen, die der einen oder anderen Rasse zugehörig sind – ohne allerdings, dass deren Rassemerkmale in irgendeiner Weise dem Idealtypus entsprechen. Außerdem gibts auch immer wieder Glatthaar-Tiere, die aber genetisch gar keine Glatthaartiere sind, sondern in ihrem genetischen Erbrucksack irgendwelche Trägereigenschaften anderer Rassen mit sich herumtragen. Das äußert sich dann meistens dadurch, dass plötzlich Tiere mit semi-langem Fell fallen, wenn eine Langhaarrasse durchschlägt. Das, was ich hier beschreibe, würde jeden deutschen Kaninchenzüchter in den Wahnsinn treiben und wäre unvorstellbar. Nicht so in der Cuyzucht, da ist das normal.
Den Liebhaberkäufern ist das egal. Die übrigen Cuyzüchter kennen das Problem und haben offenbar resigniert. Denn: Als sie mit ihrer Zucht starteten, gab es das Problem ebenfalls schon und weil sie Hobbyzüchter sind, haben sie auch gar keine Möglichkeit, die genetische Reinerbigkeit wieder herzustellen: Dazu wären, wenn man die dafür notwendige massive Inzucht (!) über viele Generationen betreiben würde, um Träger rezessiver Rasse- und Farbeigenschaften zu identifizieren und mitsamt ihrer Vorfahren von der Zucht auszuschließen, insgesamt mindestens 15 Jahre notwendig (Quelle: „Inzucht – Linienzucht – Rassezucht„). Um genetisches Chaos auszulösen, reicht hingegen eine einzige Verpaarung.
Ich traf auch auf Züchter, die ganz offensiv damit umgingen, dass sie gar kein Zuchtziel hinsichtlich Rasse und Farbe hätten, sondern schlicht, in ihrer Zucht nur echte Cuys zu verpaaren und keine, die irgendwann unter ihren Vorfahren „normale“ Meerschweinchen hatten (sogenannte Hybridtiere). Selbst deren Argumentation leuchtete mir in Hinblick darauf, dass fast nur Cuys zu finden sind, die irgendwo Hybridanteile aufweisen, ein. Allerdings ist in meinen Augen ein Ziel etwas, auf das man immer weiter hinarbeitet. Ist das Ziel „ausschließliche Verwendung reiner Cuys“, dann ist dieses „Ziel“ bereits mit dem Kauf entsprechender Tiere abgeschlossen (egal wie aufwändig die Suche nach solchen Tieren war).
Sind diese rasse- und farbgenetischen Dinge etwas, was den „normalen“ anspruchsvollen Käufer da draußen tatsächlich interessiert? Mitnichten. Dem kann es doch völlig egal sein, wie sein Meerschweinchen bzw. Cuy genetisch gestrickt ist, solange es daraus keine gesundheitlichen Einschränkungen erfährt und das Tier ihm optisch Freude bereitet. Ihm ist wichtig, dass der Züchter seine Tiere anständig versorgt und unterbringt, Ahnung von der Zucht hat hinsichtlich den besonderen Bedürfnissen schwangerer Tiere, dass kein Tier unter den Zuchtgegebenheiten leiden muss und er gut und kompetent beraten wird. Was diese Punkte anbelangt, erfüllten mit einer Ausnahme alle Zuchten, mit denen ich bislang persönlich in Kontakt kam, selbst gehobenen Ansprüchen. Die Tiere wachsen dort in großzügigen Gehegen auf mit einer Ausstattung, die jeden Meerschweinchentraum erfüllt und werden durch ihre Züchter kompetent und liebevoll umhegt und gepflegt, dass es den Tieren eine Freude ist.
Aber: Einen relevanten Beitrag zur Perfektion und der Pflege bestimmter rassetypischer Qualitätsmaßstäbe oder Farbausprägung können m. E. diese ansonsten vorbildlichen Zuchten nicht leisten, wenn sie fortgesetzt mit genetischen Überraschungseiern ihre Zucht betreiben. Für mich persönlich ist der Begriff des Züchters untrennbar verbunden mit dem Ziel, seine Zuchttiere hinsichtlich der von ihm präferierten Rasse und Farbe zu perfektionieren. Das macht die davon abweichenden Züchter aber weder zu Vermehrern, noch zu Laien. Am ehesten würde aus meiner Sicht wohl der Begriff „Liebhaberzüchter“ passen, der vom Begriff „Rassezüchter“ abzugrenzen wäre.
Nochmals „aber“: Es sind auf dem deutschen Cuymarkt (nahezu) keine Tiere erhältlich, die keine genetischen Überraschungseier sind. Sei es, dass sie Hybridvorfahren aufweisen, sei es, dass sie Vorfahren haben, die unterschiedlichen Rassen zugehörig waren, sei es, dass sie hinsichtlich Farbgenetik potentielle Träger farbveränderter Gene sind (angefangen von Schwarz/-Braungenen, Weißscheckung, über Chinchillagenen, Aufhellungen, Blaufärbung bis hinzu diversen Kombinationen). Die Gretchenfrage von Rassezüchtern (nach obiger Definition) für deutsche Cuyzüchter dürfte also sein: Strebst du Reinerbigkeit an? Mit welchen Maßnahmen? Wie stellst du sicher, dass die von anderen Züchtern hinzugekauften Tiere („Fremdzucht“) keine genetische Überraschungs-Beimischung tragen? Wie oft kommt es in deiner Zucht vor, dass sich „überraschend“ nicht-angestrebte Genfaktoren bei Würfen manifestieren? Wie verfährst du dann mit diesem Wurf und den Elterntieren? Welche konkreten Ziele hast du hinsichtlich der von dir gezüchteten Rasse/n und Farbe/n? Das sind allerdings Fragen, die Züchter einander stellen und dürften kaum für normale Käufer von Belang sein.
Die auf nahezu allen Züchterseiten vorgenommenen Abgrenzungen der eigenen Zucht von „Vermehrern“ oder „Laien“ richtet sich aber immer an Käufer von Liebhabertieren und dient dem Zweck, diesen darüber zu informieren, dass diese Zucht bestimmten Qualitätsansprüchen genügt (und deshalb die Tiere auch nicht zu Ramschpreisen zu haben sind).
Was mich und meine Zucht anbelangt, so strebe ich die Rassezucht von buff- und cremefarbenen „California schwarz“ in Glatthaar mit schönem Körperbau an. Das ist aufgrund der genetischen Überraschungs-Aufgangstiere nicht ganz einfach. Und vielleicht werde ich irgendwann vor diesem hochgesteckten Ziel kapitulieren, es runterkochen oder mich mit der genetischen Vielfalt arrangieren. Vielleicht aber auch nicht.